Diagnostik mit System in der zahnärztlichen Praxis

01. November 2012
CranioMandibuläre Dysfunktion, Fachbeiträge

Diagnostik mit System in der zahnärztlichen Praxis


Netzwerk und Schiene nehmen bei CMD Schlüsselrolle ein

DROS®I-Schiene: Diagnostik mit System in der zahnärztlichen Praxis.

DROS®I-Schiene: Diagnostik mit System
in der zahnärztlichen Praxis.
Bildquelle: ©GZFA

Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) betrifft Patienten jeden Alters. Die Komplexität der Beschwerdesymptomatik macht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aller medizinischen Fachbereiche unerlässlich. Ein Zahnarzt mit Spezialisierung auf Kiefergelenksbeschwerden baut sich somit aus gutem Grund Kontakte zu anderen Spezialisten auf, um gemeinsam eine systematische Diagnostik und Therapie gewährleisten zu können.

Prinzipiell sollte ein interdisziplinäres Netzwerk Fachgruppen wie beispielsweise Zahnärzte, HNO-Ärzte, Orthopäden und Physiotherapeuten eingliedern. Ziel muss dabei sein, Patienten mit CMD-Beschwerden von Anfang an mit allen notwendigen Kompetenzen sowohl symptomatisch als auch kausal zu behandeln. Zugrunde liegen dabei die komplexen Beziehungen zwischen Ober- und Unterkiefer, Kiefergelenken und Muskeln, die das ganze stomatognathe System beeinflussen.

Somit unterstützt ein interdisziplinärer Ansatz als Bestandteil eines funktionellen Therapiekonzepts schlussendlich die Integration und Steuerung aller notwendigen Abläufe, um orthopädische Erkrankungen, Malokklusionen und auch psychische Faktoren zum richtigen Zeitpunkt zu berücksichtigen. Der Erfolg dieser Behandlungsabläufe entscheidet über die Qualität des Netzwerks.
 

Tinnitus, ein multifaktorielles Beschwerdebild

Das Beschwerdebild Tinnitus ist ein gutes Beispiel, um die Forderung nach einem interdisziplinären und handwerklich soliden Netzwerk zu untermauern. Wie bei vielen CMD-Beschwerden handelt es sich aufgrund seiner organischen Zusammenhänge, seiner möglichen Ursachen und Erscheinungsformen um ein multifaktorielles Beschwerdebild [1].
 

Entscheidend: erste Diagnose vom HNO-Arzt

Zunächst muss ein HNO-Arzt zwischen einem objektiven und subjektiven (non-auditorischen) Tinnitus unterscheiden, um dann für die vollständige Diagnostik eines Ohrgeräusches alle vorliegenden anatomischen und physiologischen Gegebenheiten zu berücksichtigen. Bei Tinnitus kann er hier auf geschädigte Härchenfortsätze oder Ionenpumpen, Störungen im Bereich des Motormechanismus, der Ionenkanäle oder der Signalübertragung zum Hörnerv treffen. Nun sind beim objektiven Tinnitus die ursächlichen Erkrankungen wie Tumore im Bereich der Karotis oder des Mittelohrs, Arteriosklerose, Herzfehler oder Einengung der großen hirnversorgenden Arterien relativ gut diagnostizierbar.

Anders verhält es sich bei den subjektiven, für den Untersucher non-auditorischen Ohrgeräuschen, die für Tinnitus als CMD-Beschwerdebild relevant sein können. Hier reicht die Skala möglicher Ursachen von Hörsturz und akutem Lärmtrauma über Erkrankungen von Herzkreislauf, Stoffwechsel oder Nervensystem bis hin zu funktionellen Störungen an Halswirbelsäule oder Kiefergelenk.

An diesem Punkt kooperiert ein HNO-Arzt innerhalb eines kompetenten Netzwerks mit einem zahnärztlichen Funktionsdiagnostiker, der anhand einer Funktionsanalyse eine okklusale Diagnostik und Kiefergelenksvermessung vornimmt. Denn Okklusionsstörungen sind ein Risikofaktor für die muskuläre Verspannung der Kau-, Kopf- und Gesichtsmuskulatur, welche wiederum über neuro-muskuläre Mechanismen für unterschiedliche CMD-Symptome verantwortlich sein kann. Studien belegen die Zusammenhänge zwischen Tinnitus und CMD und eine signifikante Besserung der Symptomatik nach erfolgreicher Behandlung der Kaufunktionsstörung [2].
 

Abklären funktioneller Störungen

Liegt als Auslöser eine funktionelle Störung der Halswirbelsäule vor, muss für eine aussagekräftige Diagnose eine subtile klinische Untersuchung durch einen Orthopäden erfolgen, der die Funktion jedes Wirbelgelenks und die umgebenden Weichteile einzeln prüft. Eine Diagnose anhand einer Röntgenaufnahme wäre nicht ausreichend. Auch die funktionelle Störung im Bereich des Kiefergelenks erfordert ein umfassendes Vorgehen, insbesondere durch die komplizierten Band- und Muskelverbindungen zur Halswirbelsäule [3].

Eine angemessene Anamnese zu diesem Bereich muss über die Fehlfunktion bzw. die Verspannungen hinaus prüfen, inwieweit vorangegangene Zahnbehandlungen, Gesichts- oder Ohrenschmerzen oder chronische Belastungen wie Bruxismus als Faktoren mitwirken. Erst dann kann das behandelnde Team individuelle Vorschläge für ein langfristiges Therapiekonzept entwickeln.
 

Abklären des Faktors Stress

Erfahrene Funktionsdiagnostiker stellen bei Tinnitus-Patienten zunehmend fest, wie psychoemotionaler Stress innerhalb des multifaktoriellen Geschehens in den Vordergrund rückt und so als Verstärkungsfaktor wirkt. Sind Betroffene für längere Zeit aus ihrem persönlichen Gleichgewicht geraten, verkrampft sich ihre Kau-, Kopf- und Gesichtsmuskulatur und erzeugt so verstärkt Druck auf den Beiß- und Kiefergelenksapparat.  

Als konkrete Beispiele aus dem Praxisalltag kennen wir die zunehmende Häufigkeit bei Mädchen in Prüfungssituationen oder bei Männern ab 40, die in großer beruflicher Beanspruchung stecken. Nach Erfahrung des GZFA-Netzwerks suchen Tinnitus-Betroffene im Normalfall den HNO-Arzt auf, der nur zu einem kleineren Teil eine Erkrankung des Ohres feststellt. Ein Großteil der Betroffenen leidet dagegen unter Erkrankungen auf der oro-fazialen oder HWS-Seite und wird nur im Idealfall gleich zum zahnärztlichen oder orthopädischen Funktionsdiagnostiker weiter überwiesen. Das wiegt umso mehr, wenn man berücksichtigt, dass bei akutem Tinnitus in der Anfangsphase gute Heilungschancen bestehen, bei chronifiziertem hingegen deutlich weniger.

Doch auch bloße Linderung kann für den Tinnituspatienten, der auch unter Depressionen oder Panikattacken leiden kann, ein wichtiges Behandlungsziel sein. Die Diskussion der letzten Jahre um die biopsychosoziale Medizin hat gezeigt, dass Zahnärzte im Praxisalltag über die Grenzen bisheriger Ausbildungs- und Qualifizierungsinhalte hinaus gefordert sind. Vermutlich muss in allen Fachbereichen die Bereitschaft steigen ohne Abwehrreflexe Unterstützung aus anderen Fachgruppen anzunehmen und sie konstruktiv in das Therapiekonzept einzubinden. Ein kompetentes Netzwerk sollte dazu beitragen, diesen Ansatz mit Sensibilität umzusetzen.

Bei allem muss ein funktionelles Therapiekonzept an erster Stelle stehen, um weder im organisch-somatischen noch im psychosozialen Bereich zu Lasten einer korrekten Diagnose
„blinde Flecken“ zu erzeugen. Ergänzend sollte der Patient künftig passende Angebote zum Stressabbau nutzen. Auf diesem Weg finden seine extrem beanspruchten Gelenke und die
verspannte Muskulatur erste Schonung. Aufgabe eines Netzwerks wäre es, hierfür ausgewählte Therapieangebote wie beispielsweise Physiotherapie, Akupunktur, Psychotherapie und Entspannungstechniken bereit zu stellen.
 

Eine Schlüsselrolle für die Aufbissschiene

Eine Schlüsselrolle kommt der eingesetzten Aufbissschiene zur Gelenksentlastung und Bissführung zu. Entscheidendes Qualitätsmerkmal ist, nicht nur die habituelle Okklusion aufzulösen, sondern auch die verlagerten Kondylen wieder dauerhaft in ihre physiologische Position (Centric Relation, CR) zu führen. Für diese Aufgabe habe ich, als Zahntechniker, die DROS-Schiene mit dem gleichnamigen funktionellen Therapiekonzept für den diagnostischen wie auch therapeutischen Einsatz entwickelt.

Bei der DROS-Schiene handelt es sich um eine zweiphasige Oberkiefer-Aufbissschiene aus hochwertigem Kaltpolymerisat mit neuem okklusalen Design. Die Bezeichnung „DROS“ leitet sich von den Therapieschritten Diagnose, Relaxierung, Orientierung und Stabilisierung her: Die DROS I hebt in der Relaxierung die Wirkung der Vorkontakte auf. Bei der DROS II in der zweiten Phase wird der Neigungs-Winkel des Plateaus abgewandelt und die Orientierungs- und Stabilisierungsphase eingeleitet. Die Schienentherapie von sieben bis zehn Wochen Dauer erreicht eine stabile Kondylenposition (SKP). Diese bildet die Grundlage für eine nachhaltige Stabilisierung der korrekten Bisslage durch anschließende prothetische oder kieferorthopädische Maßnahmen, sofern nötig.

Hier geben ein diagnostisches Wax-up oder eine Coronaplasty Sicherheit bei der Planung. Damit begleitet die DROS-Schiene den gesamten Prozess von der Diagnose bis zur Therapie. So bildet sie auch für den behandelnden Zahnarzt eine Konstante in puncto Bisssituation. Die erfolgreiche Behandlung mit dem DROS-Konzept belegt eine Auswertung von 78 Patientenfällen [4].

Die Kosten für die aufwändige, 7-wöchige DROS-Schienentherapie inklusive Zahnarzt- und Laborkosten liegen bei rund 3.500 Euro.

Private Krankenversicherungen erstatten den individuellen Patientenanteil; auch gibt es inzwischen neue Angebote bei Zahnzusatzversicherungen für GKV-Versicherte. Die gesetzlichen Krankenkassen hingegen leisten bislang - noch - keinen Beitrag. Da CMD zunehmend Aufmerksamkeit erlangt - bis zu 20% der Bevölkerung sollen davon betroffen sein – muss sich bei den Verantwortlichen ein Umdenken vollziehen - zum Wohle der Patienten und um die erheblichen Kosten im Gesundheitswesen, die u.a. durch jahrelange Ärzteodysseen entstehen, zu senken.
 

Struktur des GZFA-Netzwerks

Innerhalb des GZFA-Netzwerks arbeiten Zahnärzte, die sich zu Funktionsdiagnostikern weiterqualifiziert haben und vor Ort eine DROS-CMD-Praxis bilden. Dentallabore wiederum begleiten als DROS-Lizenzlabore die Behandlung mit einer instrumentellen Funktionsanalyse (FAL) und der Herstellung und Modifizierung der Schiene.
 

Fazit

Die angemessene Behandlung von CMD-Beschwerden hängt entscheidend von der Qualität des behandelnden Netzwerkes ab. Die Qualität der verwendeten Aufbissschiene wiederum sichert den langfristigen Behandlungserfolg. Nach Erfahrung des GZFA-Netzwerks profitiert der Patient auch von interdisziplinären Beratungsgesprächen, die zur craniomandibulären Symptomatik und zu Funktionsstörungen des stomatognathen Systems aufklären. Sie helfen, eine individuelle Lösung für die festgefahrene, oft schon lang andauernde Problematik zu schaffen und dem Patienten einen Therapieweg mit System aufzuzeigen.

Mittlerweile bestehen 27 DROS-CMD-Praxen bundesweit, zwei in Spanien und eine in Österreich.
Das Ziel ist die Etablierung weiterer DROS-CMD-Praxen, verteilt im gesamten Bundesgebiet, um den Patienten überall kurze Wege zu einem DROS-Therapeuten zu ermöglichen.

Weiß gründete 2004 die Gesellschaft für Zahngesundheit, Funktion und Ästhetik mbH  (GZFA). Die Gesellschaft mit Sitz in München ist ein zahnärztliches Qualitätsnetzwerk,
betreibt ein Informationsportal rund um die Zahnheilkunde (www.gzfa.de), und veranstaltet 2-tägige Workshops zur DROS-Therapie für Zahnärzte und Zahntechniker.

 

Korrespondenzadresse:

GZFA Gesellschaft für Zahngesundheit, Funktion & Ästhetik mbH
Franz Weiß, Geschäftsführung
Gollierstr. 70 D/IV
80339 München
Telefon 0 89/58 98 80 90
Fax 089/5 02 90 92
E-Mail info@gzfa.de
www.gzfa.de

 

Literatur

[1] Biesinger, E.
Die Behandlung von Ohrgeräuschen. Karl F. Haug Fachbuchverlag, Stuttgart, 2005

[2] Meyer G., Bernhardt O., Küppers A..
Der Kopfschmerz - ein interdisziplinäres Problem. Aspekte der zahnärztlichen Funktionsdiagnostik und -therapie Quintessenz, 2007; 58 (11):1211-1218

[3] Pfaff, G.
Körperhaltung und craniomandibuläre Funktion Sensomotorisches Zusammenspiel
die dental praxis, XXIV,Heft 9/10-2007

[4] Ohling, H.
GZFA DROS-Konzept: GZFA legt Auswertung von CMD-Patientenfällen vor.
ZMK/Jg. 27/ Ausgabe 12, Dez. 2011

 

Den GZFA-Fachbeitrag zur CMD-Diagnostik mit System („Zahnärztliche Praxis /Technik“ (10/2012) lesen Sie hier


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