Falsche Versorgung und Mangel an Prävention belasten das Gesundheitswesen jährlich mit Milliardensummen

29. Oktober 2012
Fachbeiträge

Falsche Versorgung und Mangel an Prävention belasten das Gesundheitswesen jährlich mit Milliardensummen


11. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung und 4. Nationaler Präventionskongress in Dresden: „Prävention und Versorgung 2012 für die Gesundheit 2030“

27. September 2012 - Dresden. Wie sollten bestehende Fehlentwicklungen in der medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung in Deutschland unter stärkerer Berücksichtigung der Prävention zukünftig gesteuert werden, um eine bessere Gesundheit und Orientierung der Patienten sowie gleichzeitig erhebliche Einsparpotentiale zu realisieren? – Dies ist die zentrale Fragestellung beim 11. Deutschen Kongress für Versorgungsforschung und 4. Nationalen Präventionskongress, der vom 27. bis 29. September 2012 im Deutschen Hygienemuseum in Dresden stattfindet. Antworten darauf werden von Medizinern und Zahnmedizinern sowie Experten für die gesundheitliche Versorgung und Sozialmedizin gemeinsam gesucht.

Falsche Versorgung und Mangel an Prävention belasten das Gesundheitswesen jährlich mit Milliardensummen.
Falsche Versorgung und Mangel an Prävention belasten das Gesundheitswesen jährlich mit Milliardensummen.
Bildquelle: ©GZFA
 

Der Kongress steht unter dem Thema „Prävention und Versorgung 2012 für die Gesundheit 2030“. Bei dieser erstmals von Zahnmedizinern organisierten Tagung, die federführend von der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) gemeinsam mit dem Deutschen Verband für Gesundheitswissenschaften und Public Health (DVGPH) sowie dem Deutschen Netzwerk für Versorgungsforschung (DNVF) durchgeführt wird, sollen Lösungen für Weichenstellungen im Gesundheitswesen gefunden werden, die zu einer angemessenen und gleichzeitig kostenbewussten medizinischen Versorgung der Bevölkerung führen. Die Notwendigkeit dazu zeigt schon ein Blick auf die Ausgaben: Allein die Vermeidung von Über- und Fehlversorgung (unter Berücksichtigung des Ausgleichs von Unterversorgung) bietet ein jährliches Einsparpotential von acht bis zehn Milliarden Euro, so die Einschätzung des Sachverständigenrates im Gesundheitswesen. Im Bereich chronischer Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder Lungenkrebs ließen sich bei zielgerichteter Prävention auf Dauer noch einmal rund 30 Prozent der Gesamtausgaben im Gesundheitswesen einsparen.

Auf die zunehmende Bedeutung des Faktors Prävention wies auf der Pressekonferenz zur Eröffnung des Kongresses Prof. Wilhelm Kirch, Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie der Medizinischen Fakultät der Technischen Universität Dresden, hin: „Prävention als vorausschauende Vermeidung gesundheitlicher Risiken und Förderung von Gesundheitspotenzialen wird zu einer neuen Herausforderung: für die europäische und die Bundespolitik, für die Forschung der Gesundheitswissenschaftler an den Universitäten und die Praxis der Gesundheitsförderung in Gemeinden und Schulen, in der Wirtschaft und im Gesundheitswesen.“ Sowohl gewandeltes Krankheitsspektrum, die Globalisierung der Wirtschaft als auch die Alterung der Gesellschaft zwängen hoch entwickelte Gesellschaften zum Überdenken ihrer gesundheitspolitischen Strategien. Gesundheitsförderung und Prävention seien humane und effiziente Wege zur Bewältigung dieser Herausforderungen. Außerdem dienten sie der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und zur Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme, sagte Prof. Kirch.

Für Prof. Gerd Glaeske, Zentrum für Sozialpolitik (ZeS) der Universität Bremen und Hauptgeschäftsführer des Deutschen Netzwerks Versorgungsforschung (DNVF), bringt die Versorgungsforschung mehr Transparenz in die Qualität medizinischer Leistungen, es gehe dabei um deren Nutzen und um Aspekte von Unter-, Über- und Fehlversorgung. Prof. Glaeske führte als Beispiele für die Fehlversorgung u.a. die Tatsache an, dass Kinder immer noch zu viele Antibiotika bei Infektionen der oberen Atemwege verordnet bekämen. Dabei seien diese Infektionen meist virusbedingt und Antibiotika hier fehl am Platz. Als weiteres Beispiel ergänzte Prof. Glaeske: „Menschen mit Demenz bekommen zu viele Neuroleptika, viele dieser starken Beruhigungsmittel könnten eingespart werden, wenn neue Pflegekonzepte (‚Aktivierende Pflege’) berücksichtigt oder mehr physiotherapeutische Maßnahmen angewendet würden. Bei Menschen mit Demenz schaden Neuroleptika, sie führen nachweislich zur höheren Sterblichkeit im Vergleich zu Patienten, die keine Neuroleptika bekommen.“

Unterversorgung sieht Prof. Glaeske dagegen bei der zahnmedizinischen Versorgung älterer Menschen in Pflege- und Altenheimen. Bei vielen sei die Zahnpflege ungenügend, Zahnärzte kämen nur bedingt in die Pflege- und Altenheime. Da aber der Zusammenhang zwischen der Zahnfleischentzündung (Parodontitis) und der Entwicklung oder Verschlechterung von Krankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck oder sogar Demenz inzwischen aufgedeckt sei, könne sich der Krankheitszustand älterer Patientinnen und Patienten durch diese mangelnde Versorgung gravierend verschlechtern. „Die Versorgungsforschung kann die spezifische Situation der Patienten beleuchten und Fehlentwicklungen aufdecken. Auf diese Weise werden solche Erkenntnisse zum Ausgangspunkt für mehr Qualität und Sicherheit in der Patientenversorgung und sollten in Leitlinien oder in neuen Versorgungskonzepten, z.B. der integrierten Versorgung, berücksichtigt werden“, forderte Prof. Glaeske. Kritik übte er auch an der Praxisgebühr, die nicht zu der angestrebten Verringerung von Arztkontakten geführt habe (Deutschland hält hier nach wie vor den Weltrekord mit 18 Arztkontakten pro Versichertem), dafür aber ältere Menschen daran hindere, rechtzeitig einen Arzt aufzusuchen.

Auf die Erfolge der systematischen Bemühungen der Zahnmedizin in der Prävention von Munderkrankungen in der Bevölkerung wies Prof. Reiner Biffar, Poliklinik für zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Medizinische Werkstoffkunde, Universitätsmedizin Greifswald, hin. Diese seien deutlich sichtbar und epidemiologisch nachgewiesen. „Hieraus sind vielfältige Erfahrungen zur Effektivität, Compliance und Motivationsstrategien entstanden.“ Es liege daher nahe, „dass wechselseitig Erfahrungen und Strategien zur Prävention verstärkt zwischen Zahn- und Humanmedizin ausgetauscht werden können. Auf Basis gezielter Interventionen und langjähriger Programme in der Zahnmedizin können umfangreiche Erfahrungen der Motivation und Erhaltung der Compliance auf Bevölkerungsebene auch in der Medizin genutzt werden. Die Möglichkeiten im Mundbereich und der zahnärztliche Befundung werden als diagnostischer Zugang für Verdachtsdiagnosen von Allgemeinerkrankungen noch wenig genutzt“, erklärte Prof. Biffar.

Die Notwendigkeit einer (Re-)Integration der Zahnmedizin in die Medizin stellte auch Prof. Thomas Hoffmann, Direktor der Poliklinik für Parodontologie und Geschäftsführender Direktor der UniversitätsZahnMedizin Dresden für die Deutsche Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), heraus: „Ein Anliegen des Kongresses liegt darin, die Zahnmedizin erkennbar weiter (zurück) in die Medizin zu integrieren. Diese Reintegration stellt keine fixe Idee dar, sondern erscheint vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung und der immer wieder – sehr umfangreich im Fach Parodontologie – aufgezeigten Zusammenhänge zwischen oraler und systemischer Gesundheit als eine conditio sine qua non.“ Das gemeinsame Vorgehen könne zu einer neuen Versorgungsqualität der Patienten führen.

In gemeinsamen Workshops und Sessions, in drei Plenarsitzungen aller Teilnehmer sowie in vierzig Parallelsitzungen und Posterpräsentationen wollen die Kongressteilnehmer neue Vorschläge zur Versorgungspraxis und Prävention in Deutschland entwickeln.


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